Die grüne Ente by Manu Causse

Die grüne Ente by Manu Causse

Autor:Manu Causse [Causse, Manu]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426442456
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, um zu verschwinden. Ihre liebste ist, sich in die Sonne zu setzen.

Marion wirft den Kopf nach hinten – nur ein bisschen, gerade so weit, dass der Sonnenstrahl auf ihre Wange knallt. Andere würden sagen, dass eine Liebkosung nicht knallt; aber was Liebkosungen und Schläge betrifft, damit kennt sich Marion sehr viel besser aus als andere. Ein Windstoß, der zwischen den Bäumen hindurchgleitet, wischt ihr eine Strähne ins Gesicht. Das ärgert sie ein bisschen, wie sie die Gedanken ärgern, in denen sich Faustschläge und Liebkosungen mischen. So kann man nicht verschwinden.

In der Sonne zu verschwinden ist eine regelrechte Kunst. Eidechsen sind wahre Meister darin. Das nimmt man zumindest an: Wenn man eine Eidechse sieht, dann häufig, weil sie sich bewegt, wenn man sie gestört hat. Man kann jedoch davon ausgehen, dass da Millionen von Eidechsen sind, ganz in unserer Nähe, wenn wir spazieren gehen. Völlig reglos. Völlig unsichtbar. Mit der Umgebung verschmolzen. Besser als tot.

Genau das wäre es, das Glück. Ein Zustand der Gnade. Mit der Welt verschmelzen, ohne dass sich etwas bewegt oder stört. Oder schlägt. Wie das Herz zum Beispiel.

Sagen wir, dass die Liebe, das, was man gemeinhin Liebe nennt, nichts als eine Möglichkeit ist, den Kopf durcheinanderzubringen. Da steht man quasi kopf. Also bewegt man sich, natürlich, man taucht wieder auf in den Augen der Welt. Und sobald die Welt einen einmal aufgetrieben hat, lässt sie einen nicht mehr verschwinden. Gar nicht so einfach.

Marion stößt ein Murren aus. Sie hätte verschwinden können, hier, auf der Holzbank, den Rücken an den Tisch gelehnt. Aber dieser schiefe Sonnenstrahl und der kleine Windstoß haben sie daran gehindert. Das ist nicht einfach. Vielleicht braucht man etwas, eine Art Zauberstab. Eine Zigarette vielleicht. Eine verbesserte Zigarette. Ja, gut, sie hat sich versprochen, die verbesserten Zigaretten für später aufzubewahren, wenn es dunkel ist, wenn die Thénardiers schlafen, wenn ihr Dienst zu Ende ist. Aber ehrlich, der Dienst, die letzten Tage … Außerdem scheißt sie sich was auf die Thénardiers. Ein Joint wäre gut, um zu verschwinden. Um das Denken zu vergessen.

Tatsächlich funktioniert das aber nicht: Wenn sie raucht, dann denkt Marion an einen ganzen Haufen Sachen. Ihre Gedanken stieben in alle Richtungen davon, wie eine Eidechse in einem Ameisenhaufen, so was in der Richtung. Ja, wenn sie raucht, dann denkt sie viel, vielleicht sogar mehr noch als sonst. Aber sie denkt von woanders. Da ist sie an einer Stelle, die sie gern besser kennen würde, um sie an den Tagen auf Befehl zu finden, wenn die Welt sie ärgert, sie nicht verschwinden lässt.

Ja, ein Joint wäre eine gute Sache, das würde den Nichtangriffspakt zwischen ihr und der Welt besiegeln. Das würde keine Risse verursachen, keine Angriffsfläche, wie man sie stören konnte. Aber sie hat ihren Kram in der Nachttischschublade in ihrem Zimmer oben an der Treppe hinter dem Gemeinschaftsraum verstaut, und sie hat keine Lust, daran vorbeizugehen, keine Lust, die Treppe hochzugehen, keine Lust, in ihr Zimmer zu gehen mit der Blütentapete, die sie deprimiert oder ihr Schwindel verursacht – je nachdem, wie viele verbesserte Zigaretten sie geraucht hat.



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